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Buch Willms Napoleon III

Napoleon III. Frankreichs letzter Kaiser

Willms, Johannes. 512 Seiten, München 2008, ISBN 978-3-3 406-571510. Preis: 24,90 €


Die „Sphinx von der Seine“ war ein bedeutender Modernisierer und stand nicht nur im Schatten Bismarcks

Nur knapp die Hälfte seiner 65 Lebensjahre verbrachte Louis Napoleon in seinem Heimatland Frankreich. Immerhin sechs davon verbüßte er nach seinem zweiten gescheiterten Putschversuch als politischer Häftling in der nordfranzösischen Festung Ham, 22 Jahre aber war er, der Neffe des großen Korsen, der Herrscher Frankreichs, zunächst als Präsident der II. Republik, dann schließlich als sein letzter Kaiser. Damit aber stand er länger als jeder andere Potentat des 19. Jahrhunderts an der Spitze jenes Staates, der von seinen beunruhigten Nachbarn mit guten Gründen als ständiger politischer Unruheherd beargwöhnt wurde. Fünfmal in nur 55 Jahren wechselte zwischen 1815 und 1870 das politische System im sogenannten Mutterland der Zivilisation. Allein viermal wurde seine brodelnde Hauptstadt von Straßenkämpfen verwüstet, ehe das Land endlich unter dem Dach der III. Republik für die nächsten 70 Jahre einigermaßen zur Ruhe gelangte.

Betrachtet man jedoch Napoleons vergleichsweise lange Regierungszeit von 1848-1870 einmal nicht aus der Perspektive seiner späteren Niederlage und Gefangenschaft, so öffnet sich rasch der Blick auf eine ungewöhnlich produktive und in vieler Hinsicht für das Land gewinnbringenden Herrschaft.

Genau dies tut Johannes Willms in seiner sehr gut lesbaren Biografie über Frankreichs letzten Kaiser, der sich stets als politischer Erbe seines legendären Onkels fühlte und sein Land in vieler Hinsicht tatsächlich in die Moderne führte. Napoleons erstaunliche Bilanz als Wirtschafts- und Sozialpolitiker sowie als engagierter Förderer des Verkehrswesens und des modernen Städtebaus lassen ihn durchaus nicht als bloße Marginalie seiner Epoche erscheinen. Hinzu kommt seine Rolle als Virtuose des plebiszitären Prinzips, der es verstand, mit Hilfe von Volksentscheiden seine Herrschaft gegen den restaurativen Monarchismus oder das platte Enrichissez-vous der politischen Eliten zu sichern. Er versprach allen alles und dies in denkbar vagen und blumigen Erklärungen, als hätte er sich das berühmte Diktum seines Onkels, daß die Imagination die Welt beherrsche, vollkommen zu eigen gemacht. Wer fühlt sich da nicht an den Stil aktueller Politik erinnert? Damals jedoch erschien dieser populäre Stil revolutionär.

Willms durchschreitet in seiner Biographie des dritten Napoleon rasch die einzelnen Phasen im Werdegang seines Protagonisten, beschreibt konzise und sich auf das wesentliche beschränkend den Aufstieg eines ehrgeizigen und durchaus vielseitig talentierten Mannes, dem es als nachrangiger Erbe des vielköpfigen bonapartischen Clans keineswegs in die Wiege gelegt schien, einmal den schon so lange vakanten Thron seines Onkels zu besteigen. 

Das Buch überzeugt vor allem bei der Schilderung der Machtergreifung und der späteren Auseinandersetzung mit dem Antipoden Otto v. Bismarck, dem Willms, anders als seinem Protagonisten, keinerlei Empathie entgegenbringt. Gleichwohl benennt er eindeutig die Gründe, die Napoleons politisches System schließlich so spektakulär scheitern ließen.

Langfristig benötigte das Kaiserreich außenpolitische Erfolge, die seine erstrebte Rolle als europäische Vormacht sichtbar bestätigten. Daß Napoleon hierbei auf das nationale Prinzip setzte, um das Wiener System von 1815 zu Fall zu bringen, schien zunächst auf der Hand zu liegen. Gleichwohl zeigte schon der erste Versuch in Italien, daß nationale Bewegungen, einmal entfacht, ihre eigene Dynamik entwickelten und sich kaum noch beeinflussen ließen. Vollends zum Scheitern verurteilt war dieser außenpolitische Ansatz jedoch in Deutschland, wo mit territorialen Kompensationen – wie zuvor Nizza und Savoyen im Falle Italien – kaum zu rechnen war und wo ein klarsichtiger Bismarck rasch erkannt hatte, daß sich sein prestigebedürftiger Rivale jenseits des Rheins durchaus mit vagen Versprechungen aus dem Geschäft heraushalten ließ. Nicht Sedan, sondern schon Sadowa/Königgrätz war somit der Todesstoß für das napoleonische Kaiserreich, das nach Preußens unerwarteten und spektakulären Sieg über Österreich plötzlich mit leeren Händen für sein wohlwollendes Zuwarten dastand. Die folgenden vier Jahre versank Napoleons Herrschaft bereits in Agonie.

Ob allerdings ein gesunder Kaiser tatsächlich noch einmal die Geschicke hätte wenden können? Willms vermittelt zumindest den Eindruck, wenn er wiederholt auf das sich verschlimmernde Gallensteinleiden seines Protagonisten zu Sprechen kommt. Doch der Keim seines Scheiterns lag von vorne herein in der großen Strategie, auf die nationale Karte in Europa zu setzen, damit aber ein Preußen-Deutschland hervorzubringen, dessen schiere Größe das Prestige Frankreichs nicht ertragen konnte. Die Konsequenz war der Krieg von 1870/71, den Bismarck vielleicht hätte verhindern können, den zu vermeiden er aber auch keinen Anlaß hatte, da Frankreich ihn auf Grund der eindeutigen militärischen Kräfteverhältnisse in jedem Fall verlieren mußte.

Es spricht für Willms, daß er trotz aller kritischen Distanz zu dem preußischen Ministerpräsidenten die Schuldfrage nicht personalisiert. Letztlich war es der von dem ersten Napoleon ererbte Anspruch, die erste Macht in Europa zu sein, der die Grande Nation im Juli 1870 in einen aussichtslosen Krieg trieb.

Dies alles hat Willms noch einmal auf der Basis bekannter und bereits editierter Quellen herausgearbeitet. In den Einzelaspekten bietet er somit wenig neues, in der Darstellung wirtschaftlicher Prozesse und militärischer Aspekte bleibt er mangels Expertise recht vage, gleichwohl aber ist ihm gelungen, insgesamt eine neue Perspektive zu entwickelt, in dem er seinen Protagonisten endlich aus dem Schatten Bismarcks und eines verlorenen Krieges treten läßt.

Das plausible Porträt eines Politikers und Herrschers, der in vieler Hinsicht neue Wege beschritt, wird auch symbolisch abgerundet durch den Hinweis, daß zu Napoleons Beerdigung 1873 neben vielen Repräsentanten des zweiten Kaiserreichs auch eine Delegation Pariser Arbeiter eigens nach Großbritannien gereist war. Eine Delegation Berliner Arbeiter dürfte man an Bismarcks Grab wohl vergebens gesucht haben.

kjb