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Aufstand. Widerstand gegen Fremdherrschaft: vom Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bis zum Irak, 

William R. Polk. 340 Seiten, Hamburg 2009. ISBN: 978-3-86854-210-3. 32,- Euro.

Am Anfang waren es nur wenige, isoliert und über das ganze Land zerstreut, hoffnungslos undiszipliniert und erbärmlich schlecht bewaffnet. Sie bekämpften nicht nur die Besatzungstruppen, sondern terrorisierten auch alle Bürger, die nicht auf ihrer Seite standen. Von ihren Gegnern wurden sie schlicht als Banditen oder Wegelagerer beschimpft und dies durchaus zu Recht, so der renommierte Professor für Geschichte an der Universität von Chicago und Gründungsdirektor des Center for Middle East Studies, William Polk.

Die Rede ist hierbei allerdings nicht etwa von aufständischen Filipinos oder spanischen Guerilleros, auch nicht von den Dschungelkämpfern des Vietminh oder den Djahadisten der Al Quida im Irak und in Afghanistan. Tatsächlich handelt es sich um eine Beschreibung der amerikanischen Revolutionäre im Kampf gegen die scheinbar übermächtige britische Kolonialmacht. Es entbehrt nicht der Ironie, wenn heute das allgewaltige Amerika gegen Gegner kämpfen muß, die beinahe mit denselben Methoden vorgehen wie vor fast 250 Jahren die nordamerikanischen Patrioten.

  

 

 

In elf Fallbespielen untersucht Polk, der viele Aufstandsgebiete in den letzten sechs Dekaden persönlich kennen lernen konnte, was Guerillas so stark gemacht hat und weshalb militärisch haushoch überlegene Kräfte meist daran scheiterten, mit ihren Gegnern fertig zu werden. Sein Resümee: Über den Erfolg von Aufständen, gleich unter welchen kulturellen Rahmenbedingungen, entschieden fast ausschließlich politische Faktoren.

Noch 1962 war es für angehende Offiziere der US-Armee sehr irritierend, als der Verfasser in einem Vortrag vor den Jahrgangsbesten die These aufwarf, daß die Vereinigten Staaten den sich anbahnenden Vietnamkonflikt bereits verloren hätten. So sei es Ho Chi Minh längst gelungen, seine Bewegung als Sprachrohr eines neuen vietnamesischen Nationalbewußtseins zu präsentieren. Zur selben Zeit hatten seine Guerillas – nicht anders als die amerikanischen Patrioten genau zwei Jahrhunderte zuvor – die gegnerischen Verwaltungsstrukturen weitgehend durch Terror und Mord zerschlagen, um an ihre Stelle eigene Organisationen zu setzen. Damit aber seien bereits gut 95 Prozent des Konflikts entschieden, so rechnete Polk damals seinen empörten Zuhörern vor. Die demütigende Geschichte des amerikanischen Engagements in Südostasien schien ihm Recht zu geben.

Dabei waren asymmetrische Konfliktsituationen durchaus kein Novum in der Militärgeschichte. Engländer, Franzosen, Deutsche und selbst die angeblich kolonialfeindlichen Amerikaner hatten vergleichbare Erfahrungen in Spanien, in Afghanistan, in Jugoslawien oder auf den Philippinen gemacht und gerade die damals (1962) erst beendeten Konflikte in Kenia und Algerien schienen das Muster zu bestätigen. Eine Guerilla wird erst durch ihren Gegner stark. Erst wenn die Besatzungsmacht deren zunächst nadelstichartigen Überfälle mit brutalen Repressalien quittiert, Unbeteiligte erschießt, foltert oder interniert, erhält die Guerilla den nötigen Zulauf aus der Bevölkerung und schafft schließlich ein Aufstandsklima, in dem sie als Repräsentantin des Volkes auftreten kann. Gleichwohl gelang den Aufständischen der Aufbau einer Gegenverwaltung mit eigener Rechtsprechung und sogar primitiver Waffenproduktion meist nur mit brutalem Terror. So tötete zwischen 1956 und 1962 die algerische FLN weitaus mehr Algerier als Franzosen und mit der gleichen mörderischen Effektivität ging nur wenig später der Vietcong gegen die eigenen Landsleute vor.

Trotz aller wiederholten Fehler der betroffenen Kolonialmächte hatten sich schon im 19. Jahrhundert bestimmte Grundsätze der Counterinsurgency herausgebildet, die auf den Philippinen und später in Algerien aus der Sicht der Besatzer zu temporären Erfolgen geführt hatten. General Thomas Bugeaud, ein erfahrener Spanienkämpfer aus der Zeit der Napoleonischen Kriege, bezwang in Algerien die Rebellen Abdull Quadirs, indem er systematisch die Lebensgrundlage der ihn unterstützenden Bevölkerung zerstörte. Wo den Rebellen, wie noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine einigende Ideologie fehlte, konnten die Besatzungsmächte oft in einem zweiten Schritt die Aufständischen spalten und ihre Anführer isolieren oder gegeneinander ausspielen. Zuletzt gelang dies 1949 den Amerikanern in Griechenland im Falle der kommunistischen EAM. Es entging den Verantwortlichen jedoch, daß die besonderen Umstände eine Übertragung der Erfahrungen auf andere Konfliktgebiete, wie etwa später in Vietnam, nicht ratsam erschienen lassen. Die Mehrheit der griechischen Bevölkerung unterstützte nach der Befreiung von der deutschen Besatzung nicht mehr die ELAS, den militärischen Arm der EAM. Deren prokommunistische Aktionen in Mazedonien verstießen in den Augen der kriegsmüden Griechen zudem massiv gegen nationale Interessen.

Erschwerend für die Aufstandsbekämpfung im späten 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart war und ist die öffentliche Meinung in den so genannten Mutterländern. Die brutalen Methoden der französischen Fallschirmjäger in der Schlacht von Algier erwiesen sich zwar als militärisch erfolgreich, spalteten aber eine empörte Nation, die sich immer noch als erste aller Zivilisationen betrachtete und daher die Foltermethoden der Armee und die systematische Vernichtung der Zivilbevölkerung nicht akzeptieren konnte. Am Ende stand Frankreich vor der Wahl zwischen einem Bürgerkrieg mit einer kaum noch zu kontrollierenden Armee und dem Verlust seiner nordafrikanischen Departements.

Die Unterscheidung vitaler und sekundärer Interessen einer Besatzungsmacht ist daher der Schlüssel zum Erfolg der meisten modernen Aufstandsbewegungen, da bisher alle Interventionsmächte vor dem letzten Einsatz zurückschreckten.
Die heute in den umkämpften Gebieten in Irak und Afghanistan anzutreffende Lage enthält somit stets einen doppelten asymmetrischen Charakter: Die erste Asymmetrie betrifft naturgemäß die militärischen Kräfteverhältnisse, die nach wie vor zugunsten der Besatzungsmacht oder der so genannten Interventionskräfte sprechen. Dem aber steht regelmäßig eine Asymmetrie der politischen Interessen gegenüber, die klar für die Aufständischen spricht und bisher noch in jedem modernen Konflikt ausschlaggebend war.

Für alle Aufständischen ist ihr Kampf stets eine Lebensfrage gewesen, das militärische Engagement ausländischer Mächte war jedoch nie mehr als ein politisches Experiment. 
Auch Deutschlands Sicherheit wird, entgegen einer oft zitierten anders lautenden Behauptung nicht am Hindukusch verteidigt, sondern in seinen heimischen Ballungszentren. Keine nüchtern kalkulierende Regierung in Europa würde deshalb ihr gesamtes militärisches Potential für ein sekundäres Ziel in die Waagschale werfen.

Diese zweite und entscheidende Asymmetrie stellt auch die Verantwortlichen für die aktuellen Interventionen im Irak, Afghanistan oder Somalia nach stetig steigenden Verlusten vor die unangenehme Wahl zwischen einem demütigenden Abzug, also einer kaum kaschierbaren Niederlage und der Anwendung äußerster militärischer Gewalt bis hin zum Genozid. Dazu wäre man zwar technisch in der Lage, aber wohl kaum noch mental. 
Polks zweckmäßig ausgesuchte Fallstudien stellen trotz mancher Unschärfen im historischen Detail in jedem Fall eine lesenswerte Lektüre dar, die es erlaubt, den Charakter und die Erfolgsaussichten laufender militärischer Interventionen realistischer einschätzen zu können. Obwohl es ihm gelingt, in einem weit gespannten historischen und geografischen Raum bestimmte Grundstrukturen asymmetrischer Konflikte aufzuzeigen, ist seine Studie zugleich auch eine eindringliche Warnung vor einem allzu ausgeprägten Schematismus. Einen goldenen Ausweg aus der strategischen Sackgasse, in die neokonservative Kräfte die Vereinigten Staaten geführt haben, vermag deshalb auch er nicht aufzuzeigen.

kjb