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Der Kulturreferent des Kuratorium zur Förderung historischer Waffensammlungen e.V., Gregor Wensing, eröffnete am 14. Mai 2011 eine Ausstellung zu den 1920er Jahren. 

Seine Rede über den Wert der Waffentechnik für die historische Erkenntnis dokumentieren wir im Wortlaut.

 

"Der Fortschritt besteht nicht darin, das Gestern zu zerstören,  sondern dessen Essenz zu bewahren, die ja die Kraft hatte, das Heute zu schaffen.

(José Ortega y Gasset, span. Philosoph, 09.05.1883 – 18.10.1955)

 

Als ich noch zur Schule ging, habe ich den Geschichtsunterricht mehr als ‚Märchenstunde mit realem Hintergrund‘ betrachtet denn als ernstzunehmendes Schulfach. Demzufolge brauchte es lange, bis ich erkannte, daß „die Geschichte“ mehr ist als nur Unterhaltung unter Einbeziehung vergangener Ereignisse, sondern daß sie – wie der deutsche Dichter Friedrich Hebbel es einmal ausdrückte – „das Gedächtnis der Menschheit“ darstellt.

Und ebenso lange dauerte es, bis ich erkannte, daß die Geschichte unnachsichtig ist mit denjenigen Völkern, die sich ihrer Wurzeln nicht (oder nicht mehr) bewußt waren bzw. sich dieser nicht bewußt werden durften.

Ich kann an dieser Stelle versichern, daß mein Verständnis für diese Zusammenhänge im Wesentlichen aus der intensiven Beschäftigung mit der Waffentechnik und ihrer historischen Entwicklung erwachsen ist; an welchem Gegenstand kann man schließlich die wechselvolle Geschichte der Menschheit besser festmachen? Wie ein roter Faden zog und zieht es sich durch die Geschichte, daß sich nur diejenigen Völker längerfristig durchsetzen konnten, die über die besseren Waffen respektive die überlegene Militärtaktik verfügten.

Darüber kann man nun je nach ideologischer Ausrichtung und intellektuellem Hintergrund jubilieren oder in Depressionen verfallen – nur negieren kann man diese Tatsache nicht ruhigen Gewissens, denn Waffen und ihre Munition gehören in geradezu herausragender Weise zu den Gegenständen, anhand derer man „Geschichte“ dingfest machen kann. Wer Zweifel daran hegt möge nur einen kurzen Blick in irgendein beliebiges Geschichtsbuch werfen …

"Geschichte“ als Wissenschaft bedarf aber der gegenständlichen Verankerung, will man nicht auf das unsichere Terrain der Märchen, Sagen und Legenden abdriften – ein Umstand, den man nicht oft genug formulieren kann. Solange es keinen faßbaren Beweis für die Existenz von „Atlantis“ gibt, wird dieses ein von Platon erdachter Mythos bleiben.

Sie fragen sicherlich, warum ich das derart betone.

Derzeit wird mit Inbrunst und Engagement in unserer Gesellschaft daran gearbeitet, sich eigener kultureller Wurzeln zu entledigen, indem bestimmte Relikte unserer Vergangenheit – nämlich diejenigen waffen- und munitionstechnischer Herkunft – durch Unachtsamkeit oder gar Vorsatz der Vernichtung preisgegeben werden. Die fahrlässige oder gar vorsätzliche Aufgabe des „kulturellen Gedächtnisses“ bedeutet jedoch, daß eine – unsere –Gesellschaft, sich aus freien Stücken ihrer eigenen Identität zu entledigen droht.

Die 20er Jahre sind unentbehrlich für das Verständnis der 30er, deren katastrophales Ende in der 40ern den Boden bereitete für die 50er und 60er Jahre …

Hinlänglich ist bereits beschrieben worden, daß die Bewahrung der Relikte der Kulturgeschichte auch – und manchmal sogar ausschließlich – von privaten Sammlern gesichert wird. Ein Museumsmann sagte mir einmal im Gespräch: "Bevor wir Museumsleute den kulturhistorischen Wert eines Gegenstandes erkannt haben – habt Ihr Sammler ihn schon längst!“ Der Gründer des Mauermuseums – Museum Haus am Checkpoint Charlie, Dr. Rainer Hildebrandt, beschrieb folgerichtig unsere Position mit den knappen Worten: „Uns Sammlern obliegt es, zu bewahren was war“. Damit verfolgen wir die Praxis aller modernen Museen seit Wilhelm v. Humboldt: sammeln, sichten, ordnen, verarbeiten.

Was aber gewinnt – oder besser: verliert! – eine Gesellschaft, die engagierten seriösen Sammlern immer mehr und immer höhere Hürden in den Weg stellt? Die einen Sicherheitsgewinn zu erzielen glaubt durch die Behinderung einer Tätigkeit, die im Wesentlichen kulturelle Aspekte als Basis hat? Die die „Innere Sicherheit“ also offensichtlich zuallererst durch Museen und private Sammlungen gefährdet sieht?

Ich spreche hiermit – und leider bereits zum wiederholten Male – die großen Hürden und Widerstände an, die Sammler von Waffen und Munition überwinden müssen, wenn sie weiterhin Gegenstände des kulturellen Erbes bewahren wollen. Ich spreche die gesetzlichen Regelungen an, die das Engagement junger Nachwuchssammler ersticken – sollen?

Seitens der Politik wird immer wieder die Förderung des Ehrenamtes propagiert – es ist daher längst überfällig, dass wir private Sammler von Waffen und Munition diese Förderung auch durch die „große Politik“ einfordern!

Das Hoffen darauf, daß irgendwelche Relikte der Geschichte trotz aller behördlichen Bemühungen, sie dem privaten Besitzer wegzunehmen und zu zerstören, irgendwie die Fährnisse der Zeit überdauern oder daß – wie in den 1920er Jahren – ziviler Ungehorsam gar das kulturelle Erbe über die Zeit rettet, kann nicht ernsthaft als seriöse und zukunftsorientierte Kulturpolitik bezeichnet werden.

Wir haben es in der Vergangenheit mit Appellen an die Vernunft versucht, wir haben die kultur- und gesellschaftspolitischen Aspekte ausgebreitet und dargelegt, wie sehr der private Sammler Tätigkeiten übernimmt, die staatliche Stellen schon von ihrer Aufgabenstellung her nicht leisten können. Wir haben lange Jahre allen Versprechungen geglaubt und darauf vertraut, dass nur der Störer der öffentlichen Ordnung durch Verschärfungen des Waffengesetzes getroffen werden soll. Und dennoch mußten wir erleben, wie jede dieser schrecklichen Bluttaten der vergangenen Jahre dankbar als Argument angenommen wurde, neue erkennbar unzweckmäßige und daher sinnlose Verschärfungen im Waffengesetz durchzusetzen, die zwar keine Straftaten verhindern können - aber dafür eine Beschäftigung mit der Geschichte erschweren bis unmöglich machen.

Für Manche ist das sicherlich auch schon ein schöner Erfolg …„Geschichte“ bedarf jedoch der gegenständlichen Verankerung.

Der Politikpsychologe Dr. Thomas Kliche hat es einmal als „Gefangensein in einer Handlungsfalle“ beschrieben, aus der unsere Politik offensichtlich nicht mehr herauskommt, nachdem einmal der Weg eingeschlagen wurde, über restriktive Regelungen im Waffenrecht die Innere Sicherheit verbessern zu wollen.

Enttäuschend ist in diesem Zusammenhang auch, daß die Medien trotz aller Versuche der seriösen Information nur zu oft den Verlockungen der billigen Schlagzeile erliegen. Wer kann sich erinnern, schon einmal reißerisch aufgemacht gelesen zu haben: „Sammler bewahren Kulturgut!“? Viel eher wird man doch wohl lesen: „Waffennarr hortet 300 Schußwaffen – Nachbarn sind ahnungslos!“?

Ein ernüchterndes Fazit der Politik der vergangenen 40 Jahre ist zu ziehen, welches da lautet, daß unsere Gesellschaft trotz (ich bin sogar geneigt zu sagen: wegen!) der zahlreichen Waffenrechtsverschärfungen seit 1972 zwar nicht sicherer geworden ist, daß durch diese aber viele Zeugnisse unserer Vergangenheit für immer vernichtet wurden. Es mutet nicht nur so an, es ist makaber: Was die Kampfhandlungen des 2. Weltkrieges nicht geschafft haben, was den Säuberungen politisch korrekter Beamter der DDR in den Museen entgangen ist, das wird heute ohne Beachtung seines kulturellen Wertes emotionslos im Hochofen entsorgt.

Um es einmal ganz klar und eindeutig auszudrücken: In unserem Land ist ein Teil unseres kulturellen Erbes derzeit mehr durch einen „Verlust durch Gesetzgebung“ gefährdet denn durch Raub, Diebstahl oder das Einwirken von höherer Gewalt wie Brände oder Überschwemmungen. Dabei denkt wohl niemand darüber nach, daß Zeugnisse der Geschichte keineswegs zu den nachwachsenden Rohstoffen gehören!

Gern wird eine Gefahr konstruiert, die dadurch entstehen soll, daß Schußwaffen in Privathand sind. Ernstzunehmende Statistiken und Untersuchungen haben dies längst widerlegt.

Dann gibt es Einige, die einen Sicherheitsgewinn durch die konzentrierte museale Aufbewahrung mit lediglich beschränktem Zugang durch einen kleinen Personenkreis zu diesen Objekten vermuten – leider führt diese Praktik immer wieder dazu, daß Geschichtszeugnisse einfach vergessen werden, bis sie verkommen sind oder durch Katastrophen vernichtet werden - oder manchmal auch einfach nur "verschwinden". Ich erinnere nur an das Kölner Stadtarchiv oder die Bibliotheken von Alexandria und Weimar.
Deshalb sehen wir Sammler es als unsere gesellschaftliche Aufgabe an, so viele dieser Objekte wie möglich zu bewahren und durch Ausstellungen der Bevölkerung wieder zugänglich zu machen.

Philipp Melanchthon, der große Philosoph und Philologe des frühen und mittleren 16. Jahrhunderts, schrieb nicht nur seinen Zeitgenossen ins Stammbuch: „Vor allen Dingen aber lernt die Geschichte kennen. Sie lehrt euch, was schön ist und was schimpflich, was Nutzen bringt und was nicht … Ohne Kenntnis der Geschichte kann weder öffentliches noch privates Leben bestehen, ohne sie ist eine gesunde Verwaltung der staatlichen wie der häuslichen Angelegenheiten undenkbar …“.

Professor Gerhard Roth, Hirnforscher an der Universität Bremen, stellte einmal fest, daß Menschen beim Nachdenken über die Zukunft weitgehend die gleichen Hirnareale aktivieren wie beim Erinnern von Vergangenem (nach GEO kompakt Nr. 24). Der Umkehrschluß ist gestattet, daß derjenige, der sich intensiv mit Vergangenem befaßt, auch Zukunftsperspektiven erahnen kann. Und da bemerkt der Geschichtskundige etwas irritiert, daß die Bevölkerung in Deutschland in den 20er Jahren mit ähnlichen Botschaften wie heute aufgefordert wurde, zur Verbesserung der „Inneren Sicherheit“ privat besessene Schußwaffen abzugeben. 
Hoffen wir also, daß nicht „unsere 30er Jahre“ wieder an die Tür klopfen …

Wir müssen heute den Menschen, die in den 1920er Jahren lebten, dankbar sein, daß sie – aus welchem Beweggrund auch immer – durch die Nicht-Abgabe ihrer Schußwaffen damals dafür gesorgt haben, daß wir diese als „Fingerabdrücke“ der Geschichte heute in unseren Vitrinen zeigen und so anhand von Realstücken die Vergangenheit wieder lebendig werden lassen können.

Gegenwärtig sind diese Gegenstände aber mehr gefährdet denn je, denn anders als in den 1920ern sind sie und ihre Besitzer behördlich bekannt; ihre Besitzer sind zudem nicht mehr uneingeschränkt anerkannte Mitglieder der Gesellschaft, sondern werden äußerst gern als „Waffennarren“ oder gar „-fetischisten“ stigmatisiert – und mit „Narren“ oder „Fetischisten“ kann man ja getrost hart umspringen.

Damit aber können diese Relikte der Vergangenheit oftmals nur noch durch ein Verbringen ins Ausland vor dem Zugriff staatlicher Stellen unseres Landes nachhaltig geschützt werden.

Blicken wir einmal nach England, wo Ende der 1990er Jahre die Bevölkerung entwaffnet wurde – und man sich dort so mit einem großen finanziellen Aufwand von einem Teil seines kulturellen Erbes befreit hat. Eine britische Zeitung schrieb von 450 Millionen Pfund Sterling (damals etwa 540 Millionen €uro), welche die Entwaffnungsaktion der britischen Bürger seinerzeit gekostet hat. Weiß jemand hier im Raum, daß nach der Entwaffnung der Bevölkerung und der nachfolgenden Vernichtung von wertvollen Antiquitäten die Schußwaffenkriminalität in Großbritannien auf das Vierfache angestiegen ist? Sie haben richtig gehört – angestiegen!

Müssen wir tatsächlich dieselben Fehler begehen oder sollte bei uns in Deutschland nicht besser ein Umdenken eintreten, in der Form daß sich die Sicherheitsbehörden mehr um die tatsächlichen Störer der Ordnung kümmern und die Sammler ungestört ihrer kulturpolitischen Betätigung nachkommen können? Wir wünschen uns, daß Sie diese Botschaft nach Hause tragen.

Schließen möchte ich mit den Worten des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset, den ich bereits eingangs zitiert habe: „Die Vergangenheit kann uns nicht sagen, was wir tun, wohl aber, was wir lassen müssen.“